News zum Blues – Dezember 2013

John Mayall wird Achtzig

und ist derzeit (2013) und im darauf folgenden Jahr quer in der Republik unterwegs.

Beileibe nicht im Rollstuhl oder von kräftigen Herren untergehakt auf die Bühne geführt – der alte Zausel mit schlohweißem Haar, wallendem Zopf und Kinnbart hält locker zwei Stunden Auftritt durch und wirkt sehnig-schlacksig wie in jungen Jahren.

John Mayall wird Achtzig

Die Musik wird ihn jung gehalten haben, wird man jetzt sagen, aber das allein kann es nicht sein: Es wird DER BLUES sein! B.B. King absolvierte mit über Achtzig denkwürdige Zweieinhalbstunden-Gigs und John Lee Hooker ist zwar in dem Alter nicht mehr auf der Bühne rumgeturnt, aber deswegen sind die Leute ja auch nicht gekommen, nicht wahr!? Berufsjugendliche wie Mick Jagger können einem da schon leid tun, wenn sie mit Siebzig hektisch strampelnd immer noch vorgeben, keine Satisfaction zu bekommen – wenig erbaulich ist auch die Vorstellung, dass Keith Richards mit Achtzig im angetäuschten Halbspagat mit seiner fünfsaitigen Gitarre immer noch die Bühne umgräbt oder Rod Stewart im Leopardenhöschen Fußbälle wahllos ins Publikum drischt. Neinneinnein, John Mayall hat solches nie nötig gehabt und kann sich daher im Alter auf das Wesentliche konzentrieren: den BLUES. Ich für meinen Teil wäre glücklich, wenn ich dereinst mit Siebzig noch ein Fünkchen der Energie hätte, die den guten John heute noch befeuert! Beneidenswert!

1933 ist für uns Deutsche wahrlich kein Jahr, das wir stolz in unser Tagebuch kritzeln können, für J.M. war´s´aber was besonderes: sein Geburtsjahr. Wo immer auch Macclesfield in Cheshire in England liegen mag, dorten hat er am 29. November das Licht der Blueswelt erblickt und offensichtlich einen Vater gehabt, der ihn als begeisterter Amateurjazzer früh mit Musik in Berührung brachte. John muss die Musik aus der umfangreichen Plattensammlung seines Daddys in vollen Dosen inhaliert haben, denn er brachte sich als Teenie selbst das Klavier-, Gitarren- und Harmonikaspielen bei.

Mit 14 ging er für zwei Jahre auf die Manchester Junior School of Art, beendete diesen Abschnitt seines damals noch jungen Lebens allerdings zugunsten diverser Jobs, um endlich genügend Geld für neue, eigene Schallplatten zu haben. Unter anderem braute er in einer Werbeagentur Tee für die Vorgesetzten, entließ sich aber nach fünf Tagen selbst, und das Dekorieren von Schaufenstern muss für ihn auch nicht die lebenserfüllende Tätigkeit gewesen sein: Nach Feierabend schrammelte er in diversen Kneipen und Clubs den Blues. 1952 wurde er zum Militärdienst einberufen und diente unter anderem in Korea und Japan. Dass eine sensible Künstlerseele seine Schwierigkeiten mit dem Kasernenhofton und Kriegseinsätzen hat, zeigt sich daran, dass eines von Johns Markenzeichen ein breiter Patronengurt war, in dem allerdings statt der Munition unzählige Bluesharps in diversen Grundtonvarianten steckten.

Ab 1955 besuchte er die Kunsthochschule und hatte nach dem Abschluss bald darauf als Grafikdesigner soviel zu tun, dass er sich wohl etliche neue Platten kaufen konnte, aber kaum mehr Zeit hatte, selbst musikalisch aktiv zu sein. Trotzdem gründete er 1962 die Formation Powerhouse Four, die er bald in Blues Syndicat umbenannte. Der große Alexis Corner hatte in Ealing (weiß der Kuckuck, wo das liegt) einen Club eröffnet, der sich dem Blues und Rhythm&Blues verschrieben hatte, was für John wohl die Erleuchtung schlechthin gewesen sein muss. Daher brauchte es auch wohl nicht sehr viel Überredungskraft, um von Manchester nach London zu gehen – seinen gut bezahlten Job als Grafiker ließ er dafür sausen. Jaja, die Grafiker…

John Mayall mit Blues Harp

In London tauchte er mit Leib und Seele in die Musikszene des damals hochaktuellen R&B ein: die frühen Rolling Stones, The Kinks, Georgie Fame, Manfred Mann, The Animals und Spencer Davis Group mit dem damals gerade mal 16jährigen Steve Winwood (sein älterer Bruder Muff saß am Schlagzeug). Derart inspiriert von elektrischen Gitarren und neuen Soundeffekten gründete er mit Alexis Korner 1963 die Bluesbreakers, die er im Marquee Club präsentierte. Quasi nebenbei begleitete er John Lee Hooker, T-Bone Walker und Sonny Boy Williamson auf deren ersten Club-Touren durch England. Man stelle sich das vor: mit den musikalischen Helden der Jugend auf einer Bühne stehen! Wow!

Neben der Popszene in GB – ikonenhaft repräsentiert durch The Beatles und The Who – konnte sich die Blues- und R&B-Abteilung Mitte der 1960er Jahre gut behaupten, was ein stetes Kommen und Gehen von Musikern beinhaltete. Fritz Rau (`s Herrgöttle hab ihn selig!) holte zu dieser Zeit das American Folk&Blues-Festival nach Europa und befeuerte so das Interesse des Publikums und den Tatendurst junger Künstler. John holte keinen Geringeren als Eric Clapton von den Yardbirds, Peter Green und John McVie (Fleetwood Mac) waren zumindest für eine Plattenaufnahme unter dem Dach der Bluesbreakers zu Gange, Andy Fraser gründete nach einem Gastspiel The Free und Mick Taylor ging 1969 als Ersatz für Brian Jones zu den Stones. Große Namen und musikalische Persönlichkeiten, die bei Johns Truppe akustische Duftmarken setzten und danach in anderen Formationen oder als Solointerpreten für Furore sorgten!

1968 verzichtete John bei der Veröffentlichung des Albums „Blues from Laurel Canyon“ auf den Zusatz „and the Bluesbreakers“, und dies sollte auch für längere Zeit – bis 1982 – so bleiben. Und bei seinem Konzert in Liverpool 2003 und dem damit zusammenhängenden Album anlässlich seines 70sten Geburtstags hielt er abermals die Bluesbreakers als Label in Ehren: Keine Geringeren als Eric Clapton, Mick Taylor und Chris Barber waren bei der Sause mit dabei. 1969 nahm er das Album „The turning Point“ auf, überwiegend unplugged, wie man heute sagen würde, und ohne seinen Drummer Keef Hartley. Herausragend ist auf dieser Scheibe „Room to Move“ – wen DAS nicht aus dem Schaukelstuhl hebt, der sollte lieber bei Hansi Hinterseer und den Wildecker Herzbuben mitschunkeln. In den wilden Jahren von 1967 bis 69 setzte der Blues, meist elektronisch aufbereitet, einen wohltuenden Kontrapunkt zu dem klebrig-lulligen San Francisco Flower Power Be sure to wear some Flowers in your Hair-Gedudel – das wird am besten verdeutlicht mit den beiden knackigen Sampler-LPs „World of Bluespower Vol. 1 und 2“ und dem auch optisch leckeren Zusammenschnitt „bluesnews“: Savoy Brown, Ten Years After, Peter Green, Champion Jack Dupree, Howlin´Wolf, Muddy Waters, The Taste, Jimi Hendrix und natürlich John Mayall.

Ein Hitparadenstürmer war John Mayall nie, was aber auch nicht sein erklärtes Ziel war: Er bedient lieber den erstaunlich großen Kreis derer, die sich den Sinn für ehrliche und ungekünstelte Musik und deren unprätentiöse Präsentation bewahrt haben. Freilich besticht er als Organist nicht mit einer ausgebufften Virtuosität und sein vokaler Variationsreichtum ist eher begrenzt (ein Kritiker beschrieb John Mayalls Gesang einmal so: „Wenn Mayall laut und in einer bestimmten Tonlage singt, klingt das so, als ob man einer Ente permanent mit einer Rasenwalze über die Füße fährt, aber ansonsten passt das dünne und ruhige Stimmchen zu seinem Körper…“ Meine Güte, John Lee Hooker konnte auch nicht singen!), dafür lässt er es aber auf seiner selbst gebauten Gitarre und mit der Bluesharp zwischen den Zähnen ordentlich krachen. Das Gesamtbild ist wichtig, die Authentizität, die Ausdruckskraft und die Power, für die selbstverliebten Highlights und den Feinschliff holt sich John schon die richtigen Leute, nicht wahr?!

2005 wird er zum „Officer of the Order of the British Empire“ ernannt – er wird sich im Gegensatz zu Paul McCartney, Bob Geldoff und Mick Jagger auch nie als „Sir“ ansprechen lassen, ich denke, das ist ihm in seiner langjährigen Wahlheimat USA auch vollkommen wurscht, ihm ist immer noch die Musik, der Blues, eine Herzensangelegenheit, die er mit ausgedehnten Touren durch die Staaten, Europa und Australien bis heute auslebt.

Ach, John, play it forever…

Ein Beitrag vom ollen Michael „Bukow“ Schulze

 

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