Auf der Suche nach dem Blues

Vergiss es? Geht nicht.

Es war einer der wenigen Tage, die nur uns gehörten. Die Damenwelt verreiste. Wir tranken Fernet, das teuflische Zeug, das nur gut ist, wenn du wenig davon trinkst. Die Musik war immer wichtig, die Blues- und Rock-Platten liefen heiß, irgendwann wird schon die Polizei kommen, bis dahin lassens wir laut.

Freddie - The Blues

Die Protagonisten der Geschichte beim Einstimmen auf einen netten Abend
Freddie und sein bester Freund Gerhard, long time ago…

Ich schlief ein auf dem Flokati. Gerhard war im Bad über der Klobrille beim Erbrechen zusammengebrochen und schlief tief und fest (ich will hier nicht Kotzen schreiben). Das war nicht schlimm, das machte er immer so, wenn wir zusammen und allein waren und etwas zu viel tranken. Er wollte nie ins Bett gebracht werden, er genierte sich deswegen. Und es war vielleicht 4 Uhr in der Frühe, es war hell weil August.

Ich hatte das Tagebuch meines Onkels in der Hand, der für den Idioten Adolf Hitler früh sein Leben ließ und deshalb nicht mehr viel reinschreiben konnte. Dafür schrieb ich ab und zu was rein, auch an diesem eigentlich nicht denkwürdigen Morgen. Dafür finde ich es heute ziemlich korrekt geschrieben, wenn ich an meinen damaligen Zustand denke . Auch wenn ich heute alles etwas anders, nicht so bedrückend sehe. Aber an diesem Morgen hatte ich es so notiert. Und ab und zu, z.B. jetzt gerade, verstehe ich es ziemlich gut:

„14. August 1969. gegen 4 Uhr früh, gähn. Jeder, der schon mal morgens um halb 4 aufstand, weil er sich vorher stundenlang von einer Seite auf die andere wälzte, weiss was ich meine. Man ist dabei, den nächsten Tag, das ganze Leben durchzugehen und die Fragen kommen. Nur schnell wieder hinlegen und vergessen. Aber es klappt nicht. Du liegst da und grübelst. Am nächsten Tag, nur Stunden danach, ist alles vergessen, du rettest den Tag, organisierst alles, fühlst Dich gut. Aber du weisst, du hast dich nur betrogen, du hast alles auf den nächsten Morgen verschoben.“

Ich schrieb dann noch krakelig darunter: „So isses, Leute!“

Jahre später, durch Zufall stieß ich beim üben mit dem Brett (meiner 79er Anniversary Stratocaster) auf einen Blues-Text, der mir irgendwie aus dem Herzen sprach und bekannt vorkam.

„…now you lay down at night. You roll from one side of the bed to the other all night long. You can’t sleep. What’s the matter? The Blues has got ya!

Good morning blues, how do you do? I’m dyin’ allright, good morning, how are you?“
(Leadbelly, “Good Morning Blues”)

Da fiel mir das Tagebuch wieder ein. Ich fand sofort die Zeilen, die mir bekannt vorkamen. Es waren ja ähnliche Gedanken, damals vor 44 Jahren morgens um halb 4. Vielleicht war das ja wirklich so was wie Blues. Dann ist der Blues weder schwarz noch weiss noch amerikanisch oder deutsch.

Gerhard starb leider ziemlich jung an einer nicht weiter vom Arzt erläuterten Eiweissanomalie des Stoffwechsels oder so. Sein Sohn meinte, dass er sich sein Hirn versoffen hätte.

Gerhard ist der Einzige, um den ich je trauerte.

Freddie

 

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