John Mayall

Blues from Laurel Canyon:

Der Laurel Canyon ist eine Schlucht der Santa Monica Mountains und gehört als Wohngebiet zu Los Angeles im schönen Kalifornien. Lässt man die Bilder vor allem früherer Jahre auf sich wirken, so möchte man den Laurel Canyon als höchst lauschiges Plätzchen umschreiben, an dem es sich gut leben lässt: in der Nähe von L.A. (aber was heißt bei den Amis schon „in der Nähe“?) und inmitten einer prallen und verträumten Naturlandschaft.

Nicht umsonst hatten oder haben Größen des Showbiz dort eines ihrer Domizile: u.a. Eric Burdon, Errol Flynn, Chris Hillman (Byrds), Ray Manzarek und Jim Morrison (Doors), Joni Mitchell, Graham Nash, Steven Stills (die Stones haben ihn dort 1969 besucht), Robert Mitchum, Orson Welles, Frank Zappa, Iggy Pop und Werner Herzog.

Und John Mayall besaß dort ein Grundstück mit einem Baumhaus(!), welches 1979 leider bei einem Brand zusammen mit Mastertapes und Tagebüchern zerstört wurde. Schaut man sich das Plattencover von „Blues from Laurel Canyon“ an, dann war das zumindest im Erscheinungsjahr 1968 DER Hippietraum schlechthin. Ob Mayall bereits 1968 im Laurel Canyon ein Grundstück bzw. ein Haus besaß, ist nicht klar, obwohl er im Song „Laurel Canyon Home“ von einem Zuhause spricht. Jedenfalls scheint er vielen Musikerkollegen, die dort wohnten, ausgedehnte Besuche abgestattet zu haben. Apropos Cover: Sogar die Grundtonarten der jeweiligen Songs sind vermerkt. Ob Mayall als gelernter Grafiker bei der Gestaltung mitgewirkt hat, wissen wir nicht.

Mayall Blues

Blues from Laurel Canyon erzählt musikalisch die Eindrücke während des sicher längeren Besuches von John Mayall in seiner Wahlheimat. Alle Songs hat er selbst komponiert, aufgenommen wurden diese dann nach seiner Rückkehr in England. Mit von der Partie waren neben Mick Taylor (Gitarre) noch Stephen Thompson (Bass) und Colin Allen (Drums). Als Special Guest steuerte auf dem Song „First Time Alone“ Peter Green in unverkennbarer Manier sein Können bei. Alle 12 Songs gehen mehr oder minder nahtlos ineinander über, was damals relativ selten war, jedoch den Eindruck verdichtete, es handele sich um eine szenenhaft erzählte Geschichte (den leidigen Wechsel von der A- auf die B-Seite lassen wir mal außen vor).

 

Side A

Vacation

Eröffnet wird das Album vom Sound eines startenden bzw. landenden Jets: „Ten hours in a plane, England left behind. Here in L.A. wonder what I´ll find…“ Mick Taylor verwöhnt uns schon eingangs mit einer herrlich bluesigen E-Gitarre. Das mit den Flugzeuggeräuschen haben die Beatles fast zeitgleich auf „Back in the USSR“ gemacht.

Walking on Sunset

ist ein wunderbar shuffelnder Blues mit ausgeprägter Harmoniebegleitung, der Johns Eindrücke auf dem Sunset Boulevard in L.A. very groovy wiedergibt: „I´m walkin´ on Sunset, ev´rything is like friend… a world where I never felt so free… the cops are in their cars but they never bothered me…“ Na, da hat Johnnyboy aber Glück gehabt.

Laurel Canyon Home

beschreibt in ruhiger, fast träger Art die Stimmung der Gegend und besticht durch ein einfühlsames Piano. „It´s so beautiful to be alone, got the sun and trees and silence, I´m in my Laurel Canyon Home… lookin´ back a century, I´m lookin´ where I stand… when the sun is sinkin´it´s time reminisc, here´s a way of livin´ that I will surely miss…“

2401

Hier wird´s schrill, laut und fast atemlos, Mick Taylor treibt mit einer tollen Slideguitar diesen Boogie vor sich her. Die Ziffernfolge gibt allem Anschein nach die Hausnummer von Frank Zappas Haus wieder, den John besuchte: „There´s a hero livin´ at 2401… try to change a system many things that must be done…“

Ready to ride

Wieder ein Slow Blues mit einer einfühlsamen Bluesguitar und einem hörenswerten Harpsolo: „My love ist boiling over, I´m ready to ride… she´s the best lover a man could ever have…“ Dazu braucht man wohl nichts mehr zu sagen.

Medicine Man

wird dominiert vom Rhythmus indianisch anmutenden Schlagwerks und einer verzerrten Mundharmonika. Der leise Gesang fleht: „I had a bit of bad luck… I´m out of circulation, take me to your medicine man“ Da wird John wohl einen schlechten Griff in den Drogentopf getan haben.

Somebody´s acting like a child

klingt irgendwie wie eine Jam-Rocksession, bei der John erneut in bemerkenswerter Weise die Bluesharp bedient. „Just a silly kind of quarrel… you shouldn´t have been selfish and I shouldn´t have walked out, maybe we should talk it over, somebody´s acting like child“. Da scheint´s irgendwie Knatsch gegeben zu haben, der aber immerhin so wichtig gewesen sein muss, dass John einen Song darüber mit auf das Album genommen hat.

 

Side B

The Bear

Das abgefahrene Intro erinnert an den „Refried Boogie“ von Canned Heat und geht dann über in den knochentrockenen Blues mit einem prächtig gelaunten Mick Taylor. Mit The Bear ist kein Geringerer als Bob Hite von Canned Heat gemeint, der aufgrund seiner Körperfülle und dem nicht gerade geschmeidigen Bewegungsablauf durchaus an einen Tanzbären erinnern konnte. Die Jungs von Canned Heat lebten im Laurel Canyon in einer Art Kommune und ließen es sich offenbar gutgehen: „The sun is shining down and bear is rolling in the shade… ev´rybody´s gonna be boogie, Blues runs night and day… ev´rybody is part of a family… I gotta be movin´, they call me wand´ring John…“

Miss James

Gemeint ist in diesem jazzigen Stück mit extrem verhallter Orgel die tatsächliche Person Catherine James, die wohl zum Jetset von L.A. gehört hat: „Read about her in a magazine…“ Erst scheint John bei ihr leer gelaufen zu sein, aber schließlich kommen die beiden doch noch zusammen. Interessant erscheint die Tatsache, dass Mayall auf dem Album „So many roads“, welches vor Laurel Canyon erschien, den ersten Song „Mr. James“ platzierte. Ob das was miteinander zu tun hat? 1968 erschienen übrigens vier! Alben von John Mayall…

First Time Alone

Ein Schmuse-Blues allererster Kajüte! Peter Green streichelt das ansonsten musikalisch eher dünne Arrangement mit scheinbar endlos weit entfernt dahin wehenden Gitarrenleads – da kommt Dahinschmelz-Freude auf. Mayalls brüchiger Gesang gerät allerdings ein paar mal ordentlich daneben, oder die Orgel-Akkorde passen nicht zu Johns Tonlage. Anyway: „There was nothing like the first time alone with you… nothing like the time you and I… your fingers explore my burning skin…“ John scheint damals kein Kostverächter gewesen zu sein.

Long gone Midnight

ist ein leicht angejazzter Blues, in dem Mayall mit der schon beschriebenen Rasenwalzen-Stimme spät nach Mitternacht rumjammert, dass SIE ihn offenbar sitzen gelassen hat: „I want my woman so bad…“, bis er dann einsieht, dass es eben doch nur ein One-Night-Stand gewesen ist. Da sitzt er nun und ist total bedient.

Fly Tomorrow

Der Song beschreibt Johns Abschied aus L.A. und dem geliebten Laurel Canyon: „Fly tomorrow – way up in the sky, in the sky, in the sky…“ Es werden Ton- und Melodiefetzen aus den bisherigen Songs zitiert und in einer fast 7 Minuten langen Session zu einem gefühlsmäßigen Konglomerat verwoben. Langsamer Beginn, und dann jammt das Studio, was das Zeug hält. Die Scheibe klingt aus mit dem ruhigen Introthema und verliert sich irgendwo über dem Atlantik…

 

Okayokayokay – die LP ist 45 Jahre alt und ist nur ein Album aus dem reichhaltigen Schaffenswerk von John Mayall, ich hätte mir eine aktuellere Produktion zur Brust nehmen können oder vielleicht auch gar nichts schreiben können, aber 80 Jahre sind nun mal kein Pappenstiel, die man einfach so zur Kenntnis nimmt, und irgendwie fand ich´s für mich höchst kuschelig, nach ewigen Zeiten die Scheibe aufzulegen und genüsslich zu hören. Beim Sichten meiner Bestände sind mir außerdem ein paar wirkliche Schätzchen untergekommen… meine Güte.

Ich war sofort wieder drin in dem damaligen Zeitgefühl als Sechzehnjähriger mit Utopien im Kopf, den verwirrenden Inputs einer sich neu orientierenden Gesellschaft und den ewigen leidigen Themen wie lange Haare, Freundinnen, Musik und Schule. Und es bleiben bei einer solchen emotionalen Rückschau immer auch ein paar Kratzer an dem zurück, was man heute ist, denkt und fühlt. Ein guter Musiker macht dies ständig, sonst gäbe es ja keine Weiterentwicklung und hier ist John Mayall ein Paradebeispiel dafür, dass Veränderung das einzig Konstante im Leben ist.

Nach heutigen Maßstäben ist das Album recht schlampig produziert, da gurgelt die Orgel schon etwas überstrapaziert und die Feinheiten eines trefflich bedienten Schlagwerks saufen in einem überbordenden Akustikbrei ab, was wahrscheinlich daran gelegen haben dürfte, dass das Stereo von damals mit ziemlich rigider Trennung der Tonspuren in links und rechts eben keine feinnervige HighFidelity von heute darstellt. Aber die Technik darf der Freude über die Musik nicht die Laune verderben, sonst kann man´s gleich lassen.

Blues from Laurel Canyon stellt ein Zeitzeugnis dar, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und schließlich darf man nicht vergessen, dass der „weiße“ Blues mit seinen herausragenden Künstlern wichtige Impulse gegeben hat für die Rock- und Popmusik bis heute. Und dazu zählt John Mayall auf jeden Fall.

Man sollte den Arsch hochbekommen und die Gelegenheit nutzen, in eines seiner Konzerte zu gehen und dabei insgeheim flehen: „Komm, Alter, erzähl´ uns was vom Laurel Canyon 1968!“

Bluesige Grüße vom ollen Mick

Comments

  1. „Ich war sofort wieder drin in dem damaligen Zeitgefühl als Sechzehnjähriger mit Utopien im Kopf, den verwirrenden Inputs einer sich neu orientierenden Gesellschaft und den ewigen leidigen Themen wie lange Haare, Freundinnen, Musik und Schule. Und es bleiben bei einer solchen emotionalen Rückschau immer auch ein paar Kratzer an dem zurück, was man heute ist, denkt und fühlt.“

    Schöne Rezension, danke dafür.

    dirk

Speak Your Mind

*