Blues Feeling – gibt’s das denn???

Blues kann zwar katalogisiert oder wissenschaftlich analysiert und beschrieben werden. Ok, wenn du das willst, dann kennst du dich danach vielleicht aus im Blues und kannst teachen. Du kannst aber niemanden erklären, das hier ist die Blue Note und jetzt kommt das Feeling. Blues ist auch keine Sache von Korinthenkackern, die Platten sammeln und meinen, jetzt habe ich 20 Stück gehört, jetzt habe ich das Feeling, jetzt habe ich verstanden.

Hast du jemals klassische Musik gehört und verstanden? Das Publikum, das zu den Konzerten von Lang Lang oder Ivo Pogorelic oder Maurizio Pollini geht hat ja zum großen Teil nur sich selbst im Sinn und den Sekt danach und meist gar nix verstanden. Aber Geschäftskollege und Frau sind beeindruckt.

Auch der Klavierlehrer, der dem Kind die klassischen Achtel einhämmert und das Metronom klopfen lässt, hat die Musik oft nicht verstanden, hat kein Feeling dafür.

Chopin got the Blues

Wie ein Rockstar: Chopin, gemalt 1838 von Eugene Delacroix

Hast du jemals (solltest du Klavier spielen) von Chopin, Op. 28, Prelude Nr. 4 gespielt wie notiert, dann hast du ein schönes Stück gespielt. Aber wenn du mit Gefühl, also mit „Feeling“ an die Sache rangehst, dir überlegst, warum hat der so was geschrieben, was wollte er damit ausdrücken, kommst du in Sphären, die dem Blues-Feeling übrigens sehr nahe sind. Spiele die Achtel der linken Hand nicht stur wie auf dem Blatt vorgegeben, sondern gib dem ersten Achtel etwas mehr Zeit, nur einen Hauch, dehne die letzten sieben Achtel etwas über den Takt und auf einmal tun sich Welten auf. Ich bin fest davon überzeugt, dass sich Chopin das so vorgestellt hat. Deswegen hat er vielleicht auch „Largo“ drüber geschrieben. Und dann merkst du auch, dass Chopin echt war und keine Zauberflöte. Und wenn dich die Musik dann packt, dann hast du sie verstanden. Und wenn dich der Blues gefangen nimmt, dann hast du ihn verstanden. Dieses Gefühl, das Futter für die Seele ist. Dazu muss weder hektisch über die Tastatur oder über das Griffbrett geschreddert werden. Wenn der Blues da ist, merkst du das.

BB King

BB King, der Blues ist auch fröhlich

Bei meinem einzigen Konzert, das ich – bisher – mit BB King erleben durfte (es war schon vor Jahren die letzte Abschiedstournee…), saß ich wie immer ziemlich vorne. Bewunderte die blankgeputzten Gitarren (Gold-Hardware!) der Begleitinstrumentalisten. Ich dachte – das soll nun der schwarze, dreckige Blues sein? Aber schon die Fender-Amps, mit Mikros vor den Lautsprechern verhießen irgend wie was Genaues. BB kam, man setzte ihn auf seinen Trohn und er griff sich seine Lucille, seine Gibson mit Spezialschriftzug. Atemlose Stille. Und dann NUR EIN TON und ich war für den Abend gebügelt. Und ich dachte, das sei jetzt so eine blankgewetzte Geldverdienveranstaltung. Ne, ne, es war Blues, Blues, Blues.

Das war Feeling. Ich werde nachdenklich. Denn dieses Feeling kenne ich auch vom abgewetzten Straßenmusiker, von der Jam-Session.

Egal: Von BB wars halt schon was Besonderes. Der Blues will ja leben bleiben, so ist er ja auch gedacht, auch wenn er facettenreich im Jazz, hart im Rock oder diffizil auf der Konzertgitarre daherkommt.

Aber er soll nicht von Heino nachgesungen werden.
Da sei der Blues fern von. Rammstein ist mir egal, die kann er ärgern :).

 

Comments

  1. Werner Gebhard says

    Artikel in der Münchner TZ über Stofferl Well / Mein Kommentar als Leserbrief und an Stofferl
    STOFFERL HAT DEN BLUES (TZ v.12.11.2021/S.17)
    Stofferl sagt: „Für mich ist der Blues praktisch Volksmusik mit einer Blue-Note“.

    Genau diese unrichtige Aussage ist der Grund, warum so viele Musiker irrigerweise glauben,Blues bzw. Jazz zu spielen, sobald sie nur die Blue-Notes oder damit verbundene Jazzakkorde verwenden!

    Diese sogenannten Blue-Notes (in C-Dur z.B. es und b) haben aber mit dem Blues-Feeling rein gar nichts zu tun, denn: Dieses besagte Feeling wird nicht mittels Melodie (= Noten), sondern ausschließlich durch Rhythmus erzeugt.

    Louis Armstrong hat versucht, es so zu beschreiben: „Den Ton nie exakt im Taktmaß spielen, wie es die klassischen Musiker i.d.R. tun, sondern immer einen Tick früher oder später, damit diese wunderbare Spannung entsteht“.
    Dieser „Tick früher oder später“ ist nur im weitesten Sinn mit einer Synkope verwandt – eine Mikrosyncope gewissermaßen.
    Er entsteht unbewußt spontan aus dem Gefühl heraus und ist zeitlich kaum messbar, aber dennoch deutlich spürbar.
    Wer diese Spannung spüren kann, wer dieses Feeling hat, der weiß auf Anhieb, ob ein Musiker „zickig“ spielt – so nennt man im Jazz das Spiel ohne dieses besagte Feeling. Siehe hierzu auch Anmerkung 1)
    Oscar Peterson meinte, man könne dieses „rhythm feeling“ nicht erlernen, wenn man es nicht schon hat: „You got it or you got it not“. Dies sagte er mal zu mir persönlich im Backstage anläßlich eines Konzertes im Zirkus Krone.
    Der Percussionist Grubinger teilte in einer TV-Diskussion über das „Feeling“ die vorstehende Auffassung.

    Dieses rhythmisch bedingte Feeling kennt man übrigens nicht nur im Jazz: Auch in der Zigeunermusik und u.a.- ganz stark ausgeprägt – in der jüdischen Klezmermusik hat man sehr oft dieses unbeschreibliche Vergnügen, wenn der Geigenbogen losfetzt und die Klarinette ihre Seele herausbläst.
    Ich bin fest davon überzeugt, daß auch etliche der sogenannten klassischen Komponisten dieses Feeling hatten und entsprechend spielten, z.B. Chopin, Liszt oder Mozart. Leider hat das Metronom seither vieles vergessen gemacht.

    Was dieses Feeling bewirken kann, habe ich in New Orleans erlebt. Wir haben dort immer 14 Tage im Jazzlokal „Fritzl’s“ in der Bourbonstreet gespielt, u.a. auch beim Großen Jazz-Festival und beim French-Quarter-Festival.
    Eines Abends war im Fritzl’s ein Star-Pianist einer bekannten Münchner Formation angesagt. Die Creme de la Creme der heimischen Pianisten drängte sich in dem kleinen Lokal und harrte des Wunderkinds. Das kam schließlich auch, setzte sich ans Klavier, ließ die rechte Hand lässig nach unten baumeln und spielte nur mit de rlinken:Irrwitziges Tempo, artistische Läufe, unglaubliche Technik! Im Auditorium war das Staunen erstmal groß. Mit zwei Händen gings weiter.
    Nach etwa 40 Minuten stand ein sichtlich sehr alter schwarzer Musiker auf, duckte sich hinter dem Klavier und machte mit Blick ins Publikum mit seinem rechten Zeigefinger Scheibenwischer-Bewegungungen. Er wollte damit sagen:
    Zwar tolle Technik, aber kein Feeling, Spiel nach Metronom. Entsprechend dünn wurde der Applaus und nach kurzer Zeit beendete der Virtuose sichtlich peinlich berührt seinen Auftritt. Er flog am nächsten Tag nach München zurück. He got it not.
    Ein ähnliches Phänomen konnte man übrigens in München beim aljährlichen Jazzfrühling erleben:
    Prof. Friedrich Gulda spielte sich mit seelenlosen Tonkaskaden die Finger wund – und Chick Corea spielte sich mit ein paar wenigen Tönen (aber zum richtigen Zeitpunkt dank Feeling) spontan in die Herzen der Fans.

    Zu guter Letzt: Ich liebe jede Art von Musik, vor allem, wenn sie zum richtigen Anlaß und am richtigen Ort gespielt wird. Auf der Skihütte bei Speck und Rotwein ist es für mich ein wundervolles Geschenk, wenn der Hüttenwirt eine Zither auf den Tisch legt und seine Finger in die Saiten gräbt – da möchte ich nicht mit Jazz tauschen.
    Besonders berührt es mich, wenn die Jugend sich an die Instrumente setzt. Und auch dem Stofferl höre ich immer gern zu, wenn sich die Gelegenheit (oder gar der Polt) bietet. .
    Lieber Stofferl: Freu‘ dich weiter an den Blue-Notes, aber bring deine wundervolle Volksmusik bitte nicht mit Blues oder Jazz in Verbindung. Wir Jazzer haben’s eh schwer und es wird noch schwerer, wenn die Seele des Jazz – das (Blues)-Feeling – mißverständlich oder falsch interpretiert wird.
    Nix füa unguat – keep swingin‘
    Werner Gebhard Anmerkung 2)

    Anmerkungen
    1) Metronomische Tonerzeugung Ametronomische Tonerzeugung nach Gefühl
    = möglichst perfekte Tonabstände = minimale Variation der Tonabstände
    erzeugt Rhythmus (im Jazz „zickig“) kann Rhythmus + Feeling erzeugen

    2) Seit 1961 spielte ich in diversen Formationen Piano.
    Ich war u.a von 1986 bis 2006 Mitglied der Steamboat Stompers Munich, mit denen ich öfter in New Orleans war.
    Seit 2006 bis heute darf ich Mitglied der Mississippi-Jazzmen sein – eine der ältesten Münchner Dixie-Bands mit den lokalen Jazz-Urgesteinen Michi Dachsl, Gottfried und Bobby Hüsch
    Regelmäßige Auftritte vor Corona u.a. in der Hirschau und im Wirtshaus in der Au..

Speak Your Mind

*